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Columbia Twins

Sanft schimmerndes Geschmeide


Von Claas Gefroi

„Carsten Roths elegante Bürohauszwillinge an der großen Elbstrasse sind gleichermaßen markant wie subtil, eigenständig wie kontextuell. Sie unterscheiden sich damit wohltuend von der oftmals aufgeregten, disparaten Bebauung entlang des nördlichen Elbufers."

Im Windschatten von Hafencity, IBA und Co. war die Perlenkette, Hamburgs erster Versuch einer Rückkehr an die Elbe, ein wenig in Vergessenheit geraten. Dabei ist der in den achtziger Jahren unter dem damaligen Oberbaudirektor Egbert Kossak initiierte Prozess der Neustrukturierung des nördlichen Elbufers zwischen Fischmarkt und Oevelgönne noch immer nicht abgeschlossen. Momentan bauen Kees Christiaanse und ASTOC einen gläsernen Wohnturm und eine Variation ihres Backsteinbürobaus Holzhafen Ost auf der Westseite des namengebenden kleinen Hafenbeckens. Neben dem ehemaligen Terminal der Englandfähre errichten Renner Hainke Wirth ein Cruise Center, das Entlastung schaffen soll für die beiden temporären Hallen in der Hafencity. Und noch ein wenig weiter westlich haben NPS den alten Altonaer Kaispeicher in ein Bürohaus umgebaut […]. Parallel zur Schließung der letzten Uferlücken mehren sich indes die Stimmen, die sich gegen den fortschreitenden Wandel aussprechen. Zu groß, zu monoton, zu beliebig seien die Neubauten, so die Kritiker. Der Architekt Carsten Roth hatte nun das Pech, mitten hinein in diese Missstimmung zwei weitere Bürobauten östlich des Altonaer Kaispeichers zu planen. Prompt gab es Anwohnerproteste; ein Arzt fühlte sich gar bemüßigt, in einem Brief an den Bürgermeister gegen drohende belanglose Globalisierungsarchitektur zu Felde zu ziehen, die traditionelle Blickbeziehungen komplett blockiert.

So sehr die Sensibilität der Anwohner gegenüber Veränderungen in ihrem Wohnumfeld zu begrüßen ist – der Streit entzündet sich am falschen Objekt. Natürlich, es sind wieder einmal Bürobauten am Elbufer entstanden und keine Wohnhäuser, doch die Verantwortung hierfür tragen Bezirk und Stadt: Entlang der gesamten Perlenkette war der Neubau von Wohnraum unerwünscht, weil man Klagen der Anwohner gegen den Lärm der Containerterminals auf der anderen Elbseite fürchtete. An diesem Dogma wurde bis heute nicht gerüttelt – auch nicht von Bürgerseite. So ist der neue Wohn-KristalI am Holzhafen vor allem neuen Möglichkeiten der Schalldämmung zu verdanken und nicht etwa einem Kurswechsel in der Stadtplanung. Im Übrigen bleibt fraglich, ob denn ein weiteres Luxus-Apartmenthaus (und nur ein solches wäre hier unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen denkbar) mehr zur Belebung des Umfelds beigetragen hätte. Wenn man diese durch Investor und Architekt nicht zu beeinflussenden Festlegungen einmal beiseite lässt, bleibt festzustellen: Die Columbia Twins bilden geradezu das Gegenteil einer beliebigen, ahistorischen, vereinheitlichten Investorenarchitektur.
Was zu beweisen wäre: 
Das erste, was Carsten Roth im Gespräch zu seinen Bürozwillingen erzählt, ist, wie lange man im Büro mit Zeichnungen, Perspektiven und Modellen daran tüftelte, die 14500 Kubikmeter Bruttogeschossfläche in zierliche und elegante Baukörper zu fassen. Keinen Riegel, sondern zwei die Biegung des Ufers nachvollziehende, leicht zueinander gedrehte Gebäude mit moderaten Höhen und schlanker Silhouette entwickelte man, um die Sicht auf den Strom möglichst wenig zu verstellen. Deren Raffinesse steckt im Detail: Die Längsseiten verjüngen sich von den Mittelachsen (den Bügelfalten, wie sie der Architekt nennt) zu den äußeren Enden. Ähnlich wie beim berühmten Pirelli-Hochhaus in Mailand lassen die gebrochenen Fassaden die Bauten grazil und elegant erscheinen; der wohldosierte Ausbruch aus der Orthogonalen weitet zudem das Blickfeld für Passanten auf die Elbe.

Es ist übrigens keineswegs selbstverständlich, dass Fußgänger hier aufs Wasser und nicht gegen eine Betonwand wie in Neumühlen blicken, denn auch die Columbia Twins stehen auf einem gemeinsamen, im Inneren als Garage genutzten Flutschutzpolder. Hier jedoch wurde er auf den Straßenraum ausgedehnt und soll seine Fortsetzung auf dem vor dem Altonaer Kaispeicher liegenden Grundstück erfahren, das demnächst bebaut wird. Zum Strom wurde der Sockel abgetreppt und bietet Sitzgelegenheiten für jedermann. Leider wurde das Hafenbahnhof-Gebäude nicht in den Polder integriert. Der eingeschossige Backsteinbau auf der anderen Straßenseite war früher ein Aufenthaltsraum für Bahnwärter der Altonaer Hafenbahn, die einst vom Bahnhof Altona durch den Schellfischtunnel die Elbe entlangführte. Das heute als Cafe, Bar und Musikclub genutzte Kleinod versinkt nun hinter der hochgelegten Großen Elbstraße und ist damit (wie schon das alte Amt für Strom- und Hafenbau in der Hafencity) ein Menetekel für den ungelösten Konflikt zwischen Hochwasserschutzmaßnahmen und dem Erhalt wertvoller Bausubstanz. Der Architekt hatte vergeblich das Anheben des Gebäudes angeregt – nicht ganz uneigennützig: Immer sonntags cruist Carsten Roth zum traditionellen Motoclub im Hafenbahnhof- einem Stelldichein der Liebhaber von Old- und Youngtimern vorzugsweise amerikanischer Provenienz. Und wer will schon seine Chromjuwele im Souterrain parken?

Kostbar wie Schmuckstücke – so wirken auch die beiden Bürohäuser. Es sind vor allem die (auf Fotos nur unzulänglich abbildbaren) sanft schimmernden Metallverkleidungen der Seitenfassaden, die den eigentümlichen Reiz ausmachen. Ihr Rotton lässt Kupfer oder Bronze vermuten, doch handelt es sich um gewöhnliches Edelstahlblech, das mit einer Titanbeschichtung veredelt wurde. Kenner des Roth’schen CEuvres erinnern sich natürlich sofort an die Fassaden der Bürohausaufstockung am Waterloohain (siehe Jahrbuch 2003), doch übernahm der Architekt hier nicht deren polyspektrale Oberfläche. Das macht Sinn, denn die Beschränkung auf ein warmes Rot passt wunderbar zum backsteinernen Kaispeicher gleich nebenan. Von delikater Raffinesse sind auch die weiteren Details: Balkone auf der Wasser- und Landseite im zweiten bzw. dritten Obergeschoss sowie Blendgiebel an den Seitenfassaden gliedern die Bauten ganz klassisch in Sockel, Hauptgeschoss und Dachbereich – man merkt, dass Carsten Roth in der Meisterklasse von Gustav Peichl studiert hat. Der Bauherr wünschte sich, kaum verwunderlich bei der Lage der Objekte, keine Lochfassaden, sondern horizontale Fensterbänder, die Panoramablicke ermöglichen. Das ist für den Architekten natürlich viel zu simpel gedacht, weshalb die Fenster- und Brüstungsstreifen abschnittweise höher oder niedriger gesetzt wurden. Damit die auf der Innenseite der Fassade liegenden Betonstützen in diesem fein austarierten Spiel von offener und geschlossener Fläche nicht stören, wurden sie auf der Fensterseite kurzerhand schwarz gestrichen. Auch die Stirnseiten unterlaufen subtil die Konventionen der Moderne: Die vor die eigentliche Glasfassade gesetzten Prallscheiben sind teilweise in leichtem Winkel versetzt; das strenge Äußere gerät in Bewegung, schlägt sachte Wellen. Einen schönen Kontrast zu den dunklen, metallischen Gebäudeflanken setzen die mit hellem Granit verkleideten Brüstungsbänder. Der Stein Verde Marina passt mit seiner lebendigen, fließendem Wasser ähnelnden Textur bestens zum bewegten Fassadenbild. Auch hier fügen sich die Details stimmig in die Komposition: Die Steinplatten sind so gut aufeinander abgestimmt, dass man die Übergänge kaum bemerkt. Selbst die Stürze der Loggien sind mit Granit verkleidet, und wenn die Sonne scheint, glitzern auf der Südseite wunderbar die Rejektionen des Wassers auf dem hellen Stein. Und auch die Balkongeländer sind fein gestalteter Teil des Ganzen: Damit sie nicht zu viel Eigenleben entwickeln, wurden sie so schlicht und gleichförmig wie möglich entworfen, so dass nicht einzelne dicke Pfosten, sondern alle Stäbe gleichermaßen die Lasten abtragen.

Das Innere der Zwillingsbauten ist, wie zumeist bei heutigen Bürohäusern, schnell erläutert: Die frei einteilbaren Nutzflächen gruppieren sich um einen innenliegenden, tragenden Kern mit Erschließung, Sanitär- und Nebenräumen. Zusätzliche Zwischentreppen erlauben den Zusammenschluss von Flächen auf unterschiedlichen Etagen. Die Musterbüroetage gibt sich dank gläserner Trennwände licht und weit; hier ist alles dem spektakulären Ausblick untergeordnet. Wem das nicht genügt:
Als i-Tüpfelchen gibt es, von unten nicht sichtbar, auf den Südseiten der Dächer etwas zurückgesetzte Terrassen, auf denen sich bestens der After-work-Martini nippen lässt. Doch das ist eigentlich nicht weiter wichtig. Es sind die architektonischen und städtebaulichen Qualitäten, die das Ensemble aus dem heterogenen, manchmal auch mediokren Umfeld an der Großen Elbstraße herausstechen lassen. Die gleichermaßen markanten wie subtilen, eigenständigen wie kontextuellen Häuser geben eine Ahnung davon, wie diese für Hamburg so wichtige Wasserkante hätte werden können, wenn man das Bild der Perlenkette ernst genommen hätte, sprich: nicht von Sensation zu Sensation gehechelt wäre, sondern eine städtebauliche Gesamtkomposition geschaffen hätte. Deren Fehlen sollte, ja, müsste Gegenstand der bürgerlichen Kritik sein und nicht eines der besten Bauwerke entlang des Elbufers.“

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Claas Gefroi und Junius Verlag, Hamburg
“Sanft schimmerndes Geschmeide”, erschienen in „Architektur in Hamburg Jahrbuch 2010″