Verwaltung, Werkstatt – Fabrikumbau
Von Claus Käpplinger
„Viel wurde in den vergangenen Jahren in Hamburg gebaut. Ganze Stadtbereiche entstanden vollkommen neu, wenn auch zumeist unter den Auspizien eines vermeintlich hamburgischen Bauens mit Backstein, Kontorhaus und Passage. Während sich nun allerorten die Ergebnisse jenes neotraditionalistischen Stadtumbaus aufdrängen, muß unkonventionelle Architektur oft mühsam aufgespürt werden. Daß eine andere Auseinandersetzung mit der Vergangenheit möglich sein kann, beweist der Umbau einer ehemaligen Fabrik am Grindel. Schon allein der Altbau aus den Pioniertagen des Automobilbaus war ein Unikum.
Zwischen 1911 und 1913 war das Haus zur „Autofabrication“ eines Herrn Hansen in einem Hinterhof entstanden, ein durch und durch sachlicher, fünfgeschossiger Nutzbau mit viel Eigensinn, entworfen von Bauingenieuren und konstruktiv einer der frühesten Stahlbetonskelettbauten Hamburgs. Die vertikale Erschließung der Fabrik erfolgte durch einen Autoaufzug, der bis in die dreißiger Jahre hinein bestand. Danach zog Kleingewerbe ein, der Aulzug wurde stillgelegt, das Haus verkam, wurde gar verätzt und vergiftet. In den Achtzigern übernahm es eine auf Bilderrahmung und Kunstdruckherstellung spezialisierte Firma, die dann bei fortlaufendem Betrieb 1991 den Hamburger Architekten Carsten Roth mit der Sanierung und Modernisierung beauftragte. In ihm fand das Haus einen Liebhaber, der entschlossen war, die Geheimnisse der früheren Fabrik zu ergründen und freizulegen. Angesichts der hohen Flächenausnutzung des Vorhandenen, verboten sich Abriss oder Neubau ohnehin, denn einem Bau dieser Größenordnung hätte heute der Bezirk kaum mehr seine Zustimmung gegeben. So machte sich der Architekt auf die Suche nach den innenwohnenden Möglichkeiten des Vorhandenen. Die veränderte Nutzung und damit auch zeitgenössisches Raumgefühl sollten sich jedem vermitteln, das Neue selbstbewusst neben das Alte treten können.“
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Claus Käpplinger und Springer Verlag, Wien – New York
„Eine Sehschule des zweiten Blicks“, erschienen in „architektur.aktuell“ Nr. 12/1995