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Gemeindehaus St. Nikolai

Neubau des Gemeindehauses für die Kirchengemeinde St.Nikolai am Klosterstern, Harvestehuder Weg

Von Olaf Bartels
„Wenn Hauptpastor Ferdinand Arhuis früher am Sonntag die Gemeinde in seiner Kirche am Klosterstern in Hamburg-Harvestehude begrüßte, reichte die feste Bestuhlung oft nicht aus. Der Andrang war so groß, dass Stühle hinzugestellt werden mussten. Einen Mitgliederschwund kann er nicht beklagen, im Gegenteil: Die Zahl der Konfirmanden wächst. Schon lange wurde deshalb der Wunsch nach einem neuen Gemeindehaus gehegt. Doch verhinderte nicht die finanzielle Lage der Gemeinde den Bau bislang, sondern der Widerstand der Anwohner gegen einen Standort hinter der Kirche. 

Gegen einen Bau zwischen Kirchenschiff und den Wohnbauten am Harvestehuder Weg waren die wenigsten Einwände zu befürchten, und denen wusste Hauptpastor Arhuis mit Charme zu begegnen. Für den Architekten Carsten Roth war die Bebauung dieser Fläche eine besondere Herausforderung. Das Raumprogramm war anspruchsvoll, der Bauplatz klein und nicht eben von Licht überflutet, und schließlich forderte die Annäherung an das Kirchenschiff ein besonderes Feingefühl. Um die Kirche in das Straßenbild einzubinden, hatten die Architekten Gerhard und Dieter Langmaack Anfang der sechziger Jahre zwar auf eine Ostung des Altars verzichtet. Dennoch entstand ein städtebaulicher Solitär, der aus zwei Bauteilen besteht. Der Turm ist im Unterschied zum organisch geformten und backsteinernen Kirchenschiff mit Granit verkleidet und basiert auf einem orthogonalen Grundriss.  
Dem Schwung der Kirchenfassade und der hohen Dachwölbung setzte Carsten Roth einen ebenfalls streng orthogonalen Baukörper zur Seite, der mit dem Turmbau jetzt das Kirchenschiff einrahmt und den Platz vor der Kirche städtebaulich erstmals fasst. Die drei Bauteile bilden mit ihren kubischen und geschwungenen Formen eine neue wohl proportionierte Einheit, aus der sich das Gemeindehaus ein wenig zu lösen versucht. Die helle Jura-Marmor-Verkleidung und die Glasfassade heben sich deutlich von der Kirche ab. So entsteht gleichzeitig eine respektvolle Distanz, die Carsten Roth zum Prinzip des Hauses gemacht hat: Es umspielt die Kirche, sucht zugleich ihre Nähe und wahrt Abstand. Ein kleiner, etwas abgesenkter Hof öffnet sich vor dem Haus einladend zum Kirchenvorplatz, seine Wände schirmen ihn jedoch zum Nachbarn und zur Straße ab. Der Eingang zum Gemeindehaus befindet sich seitlich auf dem Niveau des Platzes, das sich in das Foyer ohne Absatz fortsetzt. Hier sind die Höhenunterschiede durch eine wohl überlegte Anlage von Treppenstufen wieder ausgeglichen. Der Übergang von außen nach innen ist also nahezu fließend, und dennoch besteht ein markanter Unterschied zwischen dem äußeren und inneren Raum. Das Foyer ist über zwei Geschosse verglast. Ein sorgfältig geplantes Zusammenspiel von Sichtblenden, Holzelementen, mattiertem Glas sowie eine geschickte Anordnung von Wandscheiben und offenen Deckenfeldern bewirken einen ständigen Wechsel zwischen Licht und Schatten, Aus- und Einblicken, Offenheit und Diskretion. Dieser Umgang mit der Fassade kennzeichnet dabei in besonderem Maße die Architektur des Gemeindehauses, das ja der Öffentlichkeit dient, indem es ihr Stille und Geborgenheit anbietet. 
Dezent, aber nicht ohne Aufsehen zu erregen, wirken die goldeloxierten Fensterprofile und das ebenso behandelte transluzente Aluminiumgewebe. Letzteres kennzeichnet die Lage des Gemeindesaals im ersten Obergeschoss nach außen. Hauptpastor Arhuis nennt den Saal deshalb auch gerne das „Schatzkästchen“ seines Hauses. Schließlich bringt er nicht nur die ersehnte Erweiterung der Räume zum Beten, Musizieren, Beraten oder für einen zusätzlichen Gottesdienst, er ist das Herzstück des Gebäudes. Aber auch den anderen Versammlungsräumen fehlt es nicht an Attraktivität. Mit der großen Terrasse im zweiten Obergeschoss und dem Tiefhof im Untergeschoss haben die Gruppen- und Konfirmandenzimmer jeweils einen ganz besonderen räumlichen Reiz. Dass die Langmaacksche Kirche auch hier von zentraler Bedeutung ist, wird im Erdgeschoss erlebbar: Die Backsteinwand der Kirche ist hier und im ersten Obergeschoss zur Innenwand des Gemeindehauses geworden, von der Terrasse im zweiten Obergeschoss lässt sich die imposante Wölbung des Kirchendaches und der Granitwand des Turmbaus auf eine bislang ungewohnte Weise erleben.  

Der formalen Vielfalt der Kirche setzt das Gemeindehaus strenge Formen entgegen. Im Sinne Mies van der Rohes Materialästhetik könnten sie bis in die Übergänge der Putz- und Stein- oder der Stein- und Metalloberflächen als puristisch gelten, wäre da nicht das goldene Eloxat des Aluminiums. Seine stille Pracht wirkt wie der späte Konsens des theologischen Disputs um die Wirkung des Goldes, den der Heilige Bernhard und Abt Suger von St. Denis austrugen. Letzterer gilt als Begründer der französischen Gotik und Verfechter des Prächtigen. Ließ er doch über die bronzenen Türen seiner Klosterkirche in Paris schreiben: „Wenn du über die Pracht dieser Kirchentüren staunst, so denke nicht an das hierbei verwandte Gold oder an die dafür nötigen Ausgaben, sondern konzentriere dich auf die Kunstfertigkeit der Arbeit. Diese Kunst ist lichtgetränkt und kann deinen Geist zum Ursprung des Lichtes, zum wahren Licht hinführen, dessen Pforte Christus selber ist.“ Auch für den Bau dieses Gemeindehauses ist dies nicht zu viel.“  

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Olaf Bartels, erschienen in “Baumeister“ 09/2003, Seiten 38-43