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Kunstspeicher Prantl

Neues Kunstlager für den Bildhauer Karl Prantl und seine Frau, die Malerin Uta Peyrer


Von Isabella Marboe

„Karl Prantl ist Bildhauer, seine Frau Uta malt. Ihre Bilder brauchten ein Depot mit konstanter Temperatur, in dem man sie lichtgeschützt lagern konnte. Architekt Carsten Roth entwarf ihnen einen 25 Meter langen, schwebenden Schrein für die Kunst, der Staunen macht.  

Schichtungen des Ortes 
Ein Künstlerehepaar, eine Architekturikone, alte Obstbäume und Steine, in denen sich Lebenszeit und Erfahrung zu Skulpturen verdichtet haben: Das Grundstück, auf dem das Atelierhaus des Bildhauers Karl Prantl und der Malerin Uta Prantl steht, ist ein magischer Ort. Er liegt auf einer schmalen, langen Parzelle im burgenländischen Pöttsching und verströmt die Aura meditativer Versunkenheit. Prantl ist hier geboren. Als er den Grund erbte, war er nur 10 Meter breit, später kaufte er die Nachbarparzelle dazu. Erst waren da nur zwei schwere Blöcke aus Osttiroler Serpentin. Sie bildeten die Ecksteine, zwischen denen das Atelierhaus entstand. Architekt Ernst Hiesmayr plante den leichten Holzbau, dessen Untergeschoß von einem Hohlweg gequert wird. Kochen, Essen, Waschen, Schlafen: alles Leben wurzelt in der Erde. Darüber liegt die Stätte der Kunstproduktion: ein großer Raum mit vier hohen Wänden zum Malen und Hängen. Leicht ansteigend, erstreckt sich die Parzelle heute 500 Meter von der Straße im Nordosten bis zum Horizont. An ihre südöstliche Grundgrenze setzte Hiesmayr einen schmalen Zubau aus Lärchenholz. Hier lagerte Uta Prantl ihre Bilder. Doch im Sommer wurde es viel zu heiß, im Winter viel zu kalt, die Schwankungen setzten der Malerei stark zu. Ein neuer Kunstspeicher musste her. Im Nordwesten wurde ein Streifen Land dazu gekauft, auf den Architekt Carsten Roth ein Gebäude stellte, das die Gesetzmäßigkeiten der Schwerkraft für einen ewigen Moment aus den Angeln zu heben scheint. Leicht abgerückt von der Grundgrenze, steht es wie ein erratischer Block am Rand des Gartens und schließt ihn zum Hof: Der alte Stadel und der neue Schrein, dazwischen ein gefasstes Stück Skulpturenpark und die Zeit, die vergangen ist.   

Verlagerte Materie
Wie Ackerfurchen ziehen lange, schmale Flurflächen und Hakenhöfe ihre parallelen Linien in die Landschaft. „Alle Straßendörfer folgen dieser Anordnung. Die Form sollte das beinhalten“, so Carsten Roth. Das Gebäude ist viereinhalb Meter breit, fünfundzwanzig Meter lang und etwa sieben Meter hoch. Präzise gießt es das Wesen der Kunst und die Kunst des Staunens in einen Baukörper. Er fußt auf einem Sockel aus Stahlbeton. Über einer kräftigen, schwarzen Fuge aber ruht darauf der Schrein der Malerei. „Ein Lebenswerk muss reifen, wie der Wein im Keller“, so Karl Prantl. Arbeiten aus 55 Jahren, die seine Frau Uta oben aufbewahrt wissen wollte. Siebzehneinhalb Meter kragt der Depotraum nun über einer leicht bombierten Stahlbetonplatte aus, die hauchzart auf der Wiese aufzusetzen scheint. Aus dieser Plattform entwickelt sich das Gebäude, das zwischen oben und unten einen sehr präzisen Raum umschreibt, der sich zu Himmel und Landschaft öffnet. „Ich wollte dem Ort meine Ehrerbietung erweisen“, so Roth. „Das wichtigste ist der Außenraum. Er bereitet einen auf die Bilder vor, die drinnen aufbewahrt werden.“ Hier wird das Leichte schwer und das Schwere leicht. Unter dem auskragenden Bauteil lassen sich Skulpturen witterungsgeschützt aufstellen. Der Speicher gibt dem Garten einen Rahmen, der sich in der Baumreihe an der Wand, die den Nachbarn ausblendet, fortsetzt und dann in die Landschaft übergeht. Gekonnt inszeniert der Bau den Zugang: Eine Sichtbetonwand, die im rechten Winkel zur nordwestlichen Grundgrenze verläuft, bildet eine klare Zäsur zur Straße. Man muss ein Tor durchschreiten, um den magischen Ort zu betreten. Rein funktional ging es um optimale Lagerbedingungen: möglichst geringe Temperaturschwankungen, möglichst wenig Sonne, gleichmäßiges Licht. Deshalb besteht der massive Baukörper aus geschlossenen Wand- und Deckenscheiben, die wie abstrakte, weiße Flächen wirken und so symbolisch auf den Beginn aller Kunst verweisen. Die weiße Leinwand, den rohen Stein, Tod und Auferstehung. „Der beidseitig gewölbte Freiraum im Erdgeschoß erzählt von der Materie, die sich verlagert hat“, sagt Carsten Roth.

Partitur aus Zeit und Raum
Der Speicher ist aus mehreren Schichten gebildet, die sich erst in der Bewegung erschließen. Durch den Garten schreitet man an der schwebenden Längsflanke entlang. Die Schatten der kahlen Äste eines Baumes fallen auf die weiße Wand, klar hebt sich über der horizontalen Linie einer tiefen Fuge der obere vom unteren Bauteil ab, was den Eindruck des Schwebens noch verstärkt. Diese statische Meisterleistung wurde vom Tragwerkplaner Alexander Hentschel mit einer brückenartigen Konstruktion bewältigt, die die Zugkräfte diagonal durch die Wandscheiben ableitet. „Ich wollte dem Staunen, das die Wurzel und der Antrieb aller Kunst ist, einen Ausdruck geben“, sagt Carsten Roth. „Architektur ist in Ketten tanzen: die Fugen mussten so tief ausgebildet sein, dass der Baukörper wie ein ausgehöhlter Stein wirkt und so auf die Skulpturen reagiert, ohne mit ihnen in Konkurrenz zu treten.“
Es war hohe Ingenieurskunst, die Druck- und Zugkräfte an den Fugen vorbeizuführen. Unter der Untersicht des Depots verdichtet sich der Raum, an ihrer Kante wird der Himmel zum schmalen Band, das rechts und links in die Weite der Ebene entgleitet. Unter diesem massiven Baldachin schreitet man auf den Sockel zu, zwischen dessen leicht gebogenen Wandscheiben eine Stiege ins Depot hinauf führt. Auch ihre Stufen sind horizontal bombiert und wirken, als seien sie von den Schritten hunderter Jahre ausgetreten. „Diese Details sind sehr wichtig“, sagt Roth. „Die geneigten Wände vermitteln automatisch Geborgenheit. Man geht von unten in eine andere Welt. “ Das Steigungsverhältnis der Treppe ist angenehm flach, wie von selbst gleitet man dem Licht entgegen, das durch das Glas im Eingangsbereich auf die Stufen fällt. Die Scheiben sind mattiert, leuchtend reflektieren sie die Sonne. Drei Stufen führen in den langen, 2,64 Meter hohen Raum. Die Seitenwände sind gemauert und verputzt, das Klima wohltemperiert, die Atmosphäre ruhig konzentriert, das Licht leicht gedämpft, das Regalsystem gefinkelt: mühelos lassen sich hier Bilder jeden Formats schlichten und herausziehen. Am Ende des Kunstkorridors aber schimmert es mystisch hell: hier ist ein Oberlichtschlitz in die Decke eingeschnitten. „Meine Dinge entwickeln sich hinaus in die Landschaft“, sagt Karl Prantl. „Ich wollte eine Höhle schaffen für die Bilder meiner Frau.“ Es wurde ein Kunstspeicher, der zum Himmel strebt.“

Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Isabella Marboe und Springer Verlag, Wien – New York
„Die hohe Kunst der Fuge“, erschienen in „architektur.aktuell“ Nr. 04/2009