Umbau / Aufstockung ehemaliger Kegelbahn zu Medienzentrum
Von Amber Sayah
„An einem winterlichen Nachmittag im Januar ist in Hamburg wenig südliches Fluidum zu spüren. Und doch fühlt sich, wer nach Eimsbüttel zu den Bauten von Carsten Roth kommt, unwillkürlich an Eric Owen Moss im kalifornischen Culver City erinnert. Der Vergleich hinkt, keine Frage. Zwischen dem Kalifornier und dem Hamburger liegen Welten, sowohl hinsichtlich der Zahl der Bauten als auch formal. Was Culver City und Eimsbüttel aber gleichwohl eint, ist das idealtypische Zusammenwirken von Bauherr und Architekt, das heutzutage auf beiden Kontinenten Seltenheitswert hat.
Im amerikanischen Sonnenstaat ist es ein wirtschaftlich ins Abseits geratener Bezirk im Stadtbrei von Los Angeles, wo der Projektentwickler Frederick Smith verlassene Lagerhäuser und Gewerbebauten aufkauft und von seinem Architekten spektakulären Gesichtsoperationen unterziehen lässt. Mehr als ein Dutzend banaler Schuppen hat Moss in den vergangenen Jahren in Aufsehen erregende Büros für die neuen Industrien, für Werbeagenturen, Computer-, Mode- und Kommunikationsunternehmen verwandelt. Das private Sanierungsmodell zahlt sich aus: Indem Culver City architektonisch und städtebaulich Kontur gewinnt, erfährt der Stadtteil allmählich auch wieder einen sozialen Aufschwung. In Deutschland sind es die Brüder Andreas und Bernhard Fischer-Appelt, Inhaber der PR-Agentur Fischer-Appelt Kommunikation und hanseatische Geistesverwandte des als „enlightened developer“ gerühmten Smith, die einer etwas heruntergekommenen Ecke am Nordwestrand der Hamburger Innenstadt neues Leben einhauchen. Den Beginn machte 2001 ein unscheinbarer, gelb verklinkerter Gewerbebau aus den fünfziger Jahren, dem Roth ein markantes neues Dachgeschoss aufgesetzt hat. Diesem ersten, mit Kritikerlob und Auszeichnungen bedachten Umbau ist vis-ä-vis jetzt ein zweiter gefolgt, ebenfalls im Auftrag der Fischer-Appelts, nun aber nicht mehr für den eigenen Gebrauch, sondern zur Vermietung an anderes Kreativvolk bestimmt – Medien- und Werbeagenturen, Designbüros, Grafikateliers, ähnlich wie in L. A. Projektentwickler-Aktivitäten hatten die Bauherren, anders als der findige Verkaufsstratege von Culver City, freilich noch gar nicht im Sinn, als sie an die Planung ihres neuen Firmensitzes gingen. Von ihrem Architekten, der die Chance sah, in den leer stehenden Gebäuden Medienunternehmen zu konzentrieren, ließen sie sich aber überreden, ins Immobiliengeschäft einzusteigen. Ein drittes Gebäude soll den beiden bisher sanierten und umgebauten daher noch folgen, um den »Medienpool Waterloohain« mit der nötigen Revitalisierungs-energie für den schwächelnden Standort aufzuladen.
Über diese Parallelen in der Konstellation von Bauherr -Architekt – Bauaufgabe hinaus verbindet Moss und Roth aber so gut wie nichts. Es liegt dem Deutschen fern, sich wie der Amerikaner als Gebäudeschlitzer zu betätigen, das Innerste nach außen und das Oberste zu unterst zu kehren. Kennzeichnend ist vielmehr seine Art, das Vorgefundene zu bewahren, es allenfalls – wie es im Jahrbuch Architektur in Hamburg 2002 heißt – zu „überformen und zu erweitern“. Und dass Carsten Roths „Architektur des zweiten Blicks“ (Jahrbuch 2002) auch sonst wenig mit den Exaltationen eines Eric Owen Moss zu tun hat, sieht man schon an dem schüchternen Hahnenkamm, den das Gebäude Waterloohain 5 zur Ringstraße aufstellt, um die Aufmerksamkeit der vorbeizischenden Autofahrer auf sich zu lenken. Und dennoch – eine geheime Analogie scheint es jenseits aller Unterschiede auch zu geben, zumindest beim Gedanken an „The Stealth“, ein Bauwerk, zu dem sich Moss von einem Tarnkappenbomber der amerikanischen Luftwaffe inspirieren ließ. So seltsam dunkel, so eckig und eigenartig proportioniert, so scharfkantig und fremd, so „unsichtbar“ und dazu bestimmt, die Sinne zu täuschen, wie Roths Neubau anmutet, könnte auch er von der Optik eines Stealth Fighter Jets beeinflusst sein – ein Raum-Schiff aus virtuellen Galaxien, das auf dem Dach des unschuldigen Nachkriegsveteranen gelandet ist. Der hohe Abstraktionsgrad dieser Architektur, ihr Blendwerk aus räumlichen Fiktionen und Trompe I’oeuil-Geometrien distanziert sie aber zugleich von allem Bildlichen, Theatralischen nach Moss-Manier. Konventioneller wirkt das Gebäude Waterloohain 9. Obwohl es sich in Gestalt und Materialität klar auf den Pionierbau schräg gegenüber bezieht, enthüllt sich das Raffinement auch seiner Architektur erst auf den zweiten Blick. Ursprünglich war der Bau ein Kegelcenter mit angrenzendem Clubhaus, beide aus den sechziger Jahren. Auffälliger als das neue Dachgeschoss, das von der Nummer 5 zwar die – hier in Blautönen – changierende Fassade aus Edelstahlblech übernimmt, aber ordnungsgemäß zurückspringt beziehungsweise bündig mit dem Unterbau abschließt, ist indes die Metamorphose des Bestands. Die alte Betonfassade war nicht zu erhalten. Roth hat sie durch eine Hülle aus Industrieglas mit einer transparenten Wärmedämmung ersetzt, die den Baukörper tagsüber in einen grünlich glitzernden Eiswürfel verwandelt. Von außen sieht man die Geschossdecken durchschimmern, von innen wie hinter tausend Schleiern die Welt – ein ganz neues Raumgefühl, das neben Arno Lederers „Drinnen ist anders als draußen“-Lehrsatz etwas Drittes, ein Dazwischen, etabliert. Reine Glasgebäude findet Roth zu exhibitionistisch, massive Wände, ließe sich daraus folgern, zu hermetisch. Seine Vorliebe für transluzente Wände hat daher einerseits rationale Gründe: So lässt sich Licht in ehemalige Gewerbeschachteln bringen, die für eine Büronutzung eigentlich zu tief und zu finster sind (wobei ein zweigeschossiges Atrium auch hier wieder gute Dienste leistet). Andererseits aber liebt er das Spiel mit Vexa- tionen, mit unergründlich diffusen Flächen, hinter denen sich schemenhaft Strukturen und sich scheinbar im Ungewissen verlierende Räume abzeichnen. Es kommt hinzu, dass Industrieglas ein einfaches Material ist, so einfach wie Beton. Als transluzente Hülle veredelt und verfremdet es den alten Kasten zugleich, ohne dessen Vergangenheit als simpler Zweckbau zu verraten – neuerlicher Beweis für Roths Geschick, durch Irritation von (Seh-)Gewohnheiten Signifikanz zu erreichen.
Das Treppenhaus an der Nahtstelle der beiden Gebäudeteile, äußerlich markiert durch einen Einschnitt im aufgestockten Dachgeschoss und den skurrilen, von Roth als »Lichtschleuse« bezeichneten Aufgang aus selbsttragenden U-Profilen, ist auch so eine Überraschung. Lichtgrün und so schmal, dass zwei Personen nur aneinander vorbeikommen, wenn sie von den seitlichen Ausweichalkoven Gebrauch machen, wartet es mit verwirrenden Spiegeleffekten auf. So kann es passieren, dass der Eintretende eine Person aus dem Nichts auftauchen, die Stufen herabspringen und wie ein Phantom verschwinden sieht. Ein Reflex im Glas des Aufzugschachts? Oder der Reflex eines Reflexes? Schwer zu sagen. Was die Mieter aus ihren Büroetagen machen, bleibt ihnen jeweils selbst überlassen. Die beiden bisher eingezogenen Werbeagenturen haben sich beide für Carsten Roth als Gestalter entschieden, der ihnen verblüffend originelle, verblüffend unterschiedliche Innenwelten geschaffen hat-Variationen aus Rot, Braun und Ocker die eine, ein getragenes Stück in Beton, Holz und Glas die andere. Roth, so hat Manfred Sack in einer Lobrede auf den Architekten einmal gesagt, gehe es vor allem um „den Raum, seine Materialien und Farben, seine Musikalität, den sinnlichen Genuss, den er offeriert, und das Licht, das ihn erleuchtet“. Dem ist in Bezug auf Nummer 9 nur eins hinzuzufügen – eine so beiläufige wie für sein Denken erhellende Bemerkung aus Roths eigenem Mund: Man solle doch, sagt er, im Frühjahr noch einmal vorbeikommen und sich angucken, wie schön dieses rotblühende Kirschbäumchen dann mit dem Gletschergrün der Fassade harmoniere. Ein Gedicht.“
Abdruck mit freundlicher Genehmigung von
Amber Sayah und Junius Verlag, Hamburg
“Gletschergrün und Kirschrot”, erschienen in „Architektur in Hamburg Jahrbuch 2003″